Alles ist erleuchtet

Winter. Ich habe einen Film gesehen. „Alles ist erleuchtet“, ein junger vegetarischer Jude 2 Alles-ist-erleuchtet.jpgauf der Suche nach seinem Großvater. Trotz der Weite der ukrainischen Sonnenblumenfelder: Der Film hat mich mitgenommen.
Ich gehe nach draußen. Die Bonnie unter einem zarten Mantel aus Eiskristallen. Der 1 bonnie winter.jpgScheinwerfer umflort von Melancholie. „Was ist los“, will die Bonnie wissen. „Winter ist schon furchtbar, aber muss man denn gleich so zerfallen aussehen.“
„Ich habe einen Film gesehen.“
„Das muss ein furchtbarer Film gewesen sein. War wohl’n Tatort.“
„Ich schaue keine Tatorte mehr.“
„Nun sag schon, was war’s denn?“
„Spurensuche in der Weite der ukrainischen Sonnenfelder.“
Bonnie reißt das Auge auf: „Nun sag nur noch ‚Celan‘.“
„Bonnie!!!“ Ich bin sprachlos. In der Tat dachte ich an Paul Celan.
Doch warum bin ich denn sprachlos. Ich weiß doch, dass Bonnie als echte Britin total celan-pass.jpgvernarrt in die deutsche Kultur ist.
Von der kannst du was lernen, zum Beispiel wenn du – so zum Spiel – fragst: „Paul wer?“
Da würde Bonnie losrattern:
„Paul Celan, geboren in Czernowitz. Rumäne, Ukrainer, Jude, Deutscher.“
Ja, was denn nun, Ukrainer oder Rumäne? Und wieso Deutscher?
„Und Jude“!
Also alles zusammen? Das ist doch echt unübersichtlich.
„So war die Zeit, unübersichtlich. Auch das Leben war unübersichtlich, erst Besuch des rumänischen und dann Besuch des ukrainischen Staatsgymnasiums.“
Und dann?
„Dann kamen die deutschen Panzer.“
Nach Rumänien oder in die Ukraine?
„Herrje!“ Und Bonnie würde die Kette rasseln lassen, „das ist doch egal. Die kamen einfach und schleppten die Eltern in ein Arbeitslager.“
Warum das denn? Waren sie arbeitslos?
„Sie waren Juden, und jeder wusste: Schon im Talmud steht, dass ein ordentlicher Jude christliche Brunnen vergiften muss.“
Da fällt dir ein: Das sagt doch auch Benno, der mit der fetten Moto Guzzi, die er mit leuchtenden Augen so liebevoll pflegt, also der Benno sagt das von den Moslems. Nicht mit dem Brunnen, aber im Koran steht es, zwar von rechts nach links, aber dennoch ganz klar, wenn auch mit anderen Worten: Ein ordentlicher Moslem muss einmal in seinem Leben mit seinem VW-Bus in eine Horde ungläubiger Biertrinker rasen oder ersatzweise – und hier zwinkert Benno mit seinem rechten Auge – eine blonde Frau vergewaltigen.
Doch bevor du über Benno und seinem Zwinkern nachdenken kannst, ist Bonnie schon3 judenermordung.jpg weiter: „Dort starb sein Vater an Typhus, seine Mutter wurde von einem SS-Mann erschlagen. Der Sohn überlebte und fortan quälten ihn die Selbstvorwürfe, seine Eltern im Stich gelassen zu haben.“
Du bist ganz still und fragst vielleicht vorsichtig: Hat er das?
„Das ist doch egal. Er glaubte, dass er hatte, und seine Lyrik kreiste um diesen Punkt, bis er sich das Leben nahm.“
Dann würde sich Bonnie räuspern und so gefühlvoll, wie es eben ein Zweizylinderbike kann, losrasseln:
Espenbaum (1945)
Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel.
Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß.

Löwenzahn, so grün ist die Ukraine.
Meine blonde Mutter kam nicht heim.

Regenwolke, säumst du an den Brunnen?
Meine leise Mutter weint für alle.

Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei.

Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln?
Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.

Wenn in diesem Moment Benno vorbeikommt sollte auf seiner liebevoll gepflegten Moto Guzzi, dann streichelst du noch schnell Bonnies Tank und eilst ins Haus und lässt die Rollläden herunter.

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